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_Märkische Allgemeine 16.9.08_
Ein
Mann und die ganze Skala der Gefühle
Die Berliner Jazz-Ikone Franz de Byl erfüllt die kleine Gortzer Kirche
mit ihren großen Klängen. Franz
de Byl ist immer wieder ein Erlebnis. Am Sonntagnachmittag war er in Gortz.
Von
Ann Brünink.
God bless me Gott segne mich: Tiefschwarz und ganz und
gar bluesig klingt die Eigenkomposition des Berliner Jazzgitarristen, der
Sonntagnachmittag in der Dorfkirche Gortz eines seiner bemerkenswerten Solokonzerte
gab. Da saß er nun vor dem mit späten Sommerblumen geschmückten
Altar, sanft beschienen vom Schein der vielen Kerzen. Seine Stimme klingt
kratzig, und er singt, als habe er einen dicken Hustenbonbon im Mund. Und
je länger er singt und virtuos wie kaum jemand seine Gitarre spielt,
desto deutlicher wird es: Dieser Künstler sprengt die Mauern dieses kleinen
Gotteshauses, seine Musik drängt hinaus aus der offenen Tür, erfüllt
den Kirchgarten und schwingt sich empor gen Himmel zu dem, zu dessen Preis
und Ehr das Kirchlein einst erbaut wurde.
Wer bei seinem Percussion-Titel die Augen schließt, sieht den Besen
über das Schlagzeug streichen, hört die Drumsticks mal hell, mal
dumpf auf Metall oder Schlagfell schlagen. Wer die Augen öffnet, sieht
aber nichts von einem Schlagzeug. Der Musiker hat jedoch ein Verfahren ausgetüftelt,
das es ihm erlaubt, den Ton von jeder einzelnen Saite seiner Akustikgitarre
abzunehmen. Gemischt wird das Ganze mit Hilfe von Pedalen, die der Gitarrist
sehr sensibel zu bedienen weiß. Den Rhythmus schlägt er mit den
Fingern am Gitarrenhals oder mit den Fingernägeln oder der flachen Hand
an verschiedenen Stellen am Gitarrenkörper. Und so gibt es keine einzige
Stelle an seiner Gitarre, die de Byl nicht zu einem Klangerlebnis der besonderen
Art zu nutzen weiß.
Mit Hey Joe von Jimi Hendrix beispielsweise fährt er mit
den Zuhörern akustisch Achterbahn auf der Gitarre, so dass ihnen Hören
und Sehen vergeht. Obwohl die Lautstärke vergleichsweise moderat ist,
flüchten einige Zuhörer vor dieser musikalischen Urgewalt, die der
Musiker entfesselt. Franz de Byl wichtigstes Instrument ist jedoch seine Stimme.
Zu verstehen sind die Texte kaum, umso mehr erschließt die Klangfarbe
den Sinn. De Byl schafft es beispielsweise, mit den zwei Worten Oh Dear
(Oh Liebste) eine ganze Gefühlsskala aufzufächern, Liebe und Verzweiflung
auszudrücken.
Franz de Byl ist 1950 in Bottrop geboren und vor der Bundeswehr nach West-Berlin
geflüchtet. Er hat sich als Blues-Gitarrist und Sänger einen guten
Namen gemacht. Von 1976 bis 2005 hat er das legendäre Jazzlokal Flöz
betrieben, das sich zum Kristallisationskern der Berliner Jazz-Szene entwickelt
hat. Gescheitert ist die Jazzkneipe kurz vor ihrem 30-jährigen Jubiläum
schließlich an einer exorbitanten Mieterhöhung von 50 Prozent,
die das Non-Profit-Unternehmen nicht aufbringen konnte. Doch Franz de Byl
ist mit regelmäßigen Auftritten unter anderem mit seinem
Tom-Waits-Programm im Gripstheater eine feste Größe im Berliner
Jazzleben geblieben.
Mit dem Konzert endete die Sommersaison. Die Einnahmen sollen in die Innensanierung
der Kirche fließen.